Schon seit Langem nehmen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler die Dienste von Psychologen in Anspruch, um ihre Leistung zu steigern. Dank Mazda kommen die Fachleute für das Seelenleben nun auch in der Welt der Fahrzeugherstellung zum Einsatz. Das Unternehmen gilt allgemein als führend im Bereich des Kansei Engineering — so nennt man die Entwicklung von Technologie unter Berücksichtigung der sinnlichen Wahrnehmung, um das Fahrerlebnis zu steigern.
Die Craftsmanship Development Group befasst sich seit 1999 mit Kansei Engineering. Gedacht waren die Arbeiten von Nobuyuki Fukui und seinem Team ursprünglich als Hilfe für die Takumi-Experten im Unternehmen. Mit der neuesten Modellgeneration allerdings wurde das Kansei Engineering dank der Mitwirkung eines anerkannten Experten in eine innovative neue Richtung gelenkt. Kenta Kubo ist Außerordentlicher Professor für Psychologie. Er arbeitet seit 2014 mit Mazda-Entwicklern zusammen und hilft ihnen, menschliche Empfindungen bei der Entwicklungsarbeit besser zu berücksichtigen.
Eine tragende Rolle spielte dabei Ingenieurin Asami Yonezawa. Sie leistete Pionierarbeit im Bemühen von Mazda, shokkaku, dem Tastsinn, mehr Bedeutung beizumessen. Einmal stellte sie fest, dass sie ein Problem mit dem Ledermaterial eines Lenkrads hatte, an dem sie arbeitete. Yonezawa: „Ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen, wie sich etwas anfühlt. Was macht es angenehm? Und wie kann man etwas so Subjektives messen?“
Fukui beschloss, Kubo ins Spiel zu bringen. Inzwischen stattet Kubo Mazda regelmäßige Besuche ab und arbeitet mit einem Team aus 16 Takumi-Handwerkern zusammen. Er erinnert sich: „Yonezawa hatte den Prototyp für ihr Lenkrad bereits mit dem Wissen entwickelt, dass Tastsinn und menschliche Gefühle eng miteinander verbunden waren. Ich brachte zusätzlich noch die Methodik für eine exakte Erfassung dieser Emotionen ins Spiel.“
Wie aber reagierte man darauf, dass hier jemand aus der wissenschaftlichen Ecke die
Labors von Mazda aufmischte? Yonezawa lacht laut: „Es war für uns etwas völlig Fremdes. Wir
hatten anfangs keine Ahnung, wovon er sprach.“
„Es war für uns etwas völlig Fremdes. Wir hatten anfangs keine Ahnung, wovon er sprach.“
Asami Yonezawa
Kubo räumt ein, dass das Team noch viel zu lernen hatte. Er befand, dass man das Konzept am besten vermitteln konnte, indem man es an einem Produkt veranschaulichte. „Ich entwickelte mit einem Techniker von Mazda diesen Schalter“, erklärt er und hält ein quadratisches Stück Kunststoff hoch.
„In den Modellen von Mazda gibt es rund 70 verschiedene dieser Bauteile. Wie sich ein Schalter anfühlt, spielt in der Autoindustrie eine wichtige Rolle.“ Nach eineinhalb Jahren hatte Kubo erreicht, was er wollte: Nicht mehr das „Klick-Klick“-Gefühl, das als Nonplusultra betrachtet worden war, sollte im Mittelpunkt stehen, sondern ein Schalter, der sich aktiver, lebendiger anfühlte.
Gefühle, unterstreicht Kubo, seien stets eine Folge physischer Veränderungen. Auf einen Schalter übertragen heißt das: Wenn sich sein physischer Zustand messen lässt, können die Gefühlsänderungen des Benutzers nachvollzogen werden. Da machte es klick bei den Ingenieuren. „Das Team erkannte, dass wir mit einem Mal das Wissen und die Technik hatten, um unsere Produkte sozusagen zu ‚emotionalisieren‘.“
Daraufhin wurde die Zusammenarbeit zwischen Kubo und dem Team intensiviert. Unter Anwendung des Circumplex-Modells von Russell zur Klassifizierung emotionaler Zustände legte man fest, wie sich Schalter in Mazda-Fahrzeugen anfühlen sollten. Kubo erklärt: „Jeder empfindet Berührungen anders. Deshalb brachten wir dieses Modell zur Anwendung. Wir fragten uns: Wie viel Kraft ist nötig, um ein ansprechendes Klickgeräusch zu bekommen?“ Das Diagramm gegenüber zeigt die Bandbreite möglicher Werte. Es wurde ein Schalter ins Visier genommen, der angenehm zu benutzen ist und sich beruhigend anfühlt.
Einen richtigen Mittelweg zu finden war jedoch sehr schwierig, wie Kubo einräumt: „Ist er zu schwer zu bedienen, wird man seiner überdrüssig, ist er zu leicht zu bedienen, beginnt man sich zu langweilen. Der Schalter sollte sich optimal anfühlen.“
Die Experten von Mazda waren hellauf begeistert vom Ergebnis ihres gefühlsorientierten Technikdesigns. Und was kommt als Nächstes? Das Konzept soll konsequent durchgezogen werden. „Wir setzen es im gesamten Fahrzeug um. Man mag sich über den Aufwand wundern, den Mazda betreibt. Aber wir versuchen herauszufinden, wie wir den Fahrspaß durch intensiveres emotionales Erleben steigern können.“
Text: Kate Klippensteen / Fotos: Eric Micotto